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Peter Schünemann: Das Seelenrad (Projekte-Verlag Halle, 2011)

© by Mario Franke, 2011

Aus der Rezension von Markus K. Korb:

 

Peter Schünemann ist Kennern der Szene kein Unbekannter. Schon seit den 90er Jahren veröffentlichte er in „Solar-X“, der Clubzeitschrift des SF-Clubs Halle. Zudem war er im Artzine „Fleurie“ vertreten, das von Eddie M. Angerhuber und Thomas Wagner herausgegeben wurde. Auch ist der Autor immer wieder mit seinen Geschichten in verschiednen Zeitschriften präsent. Umso angenehmer für den Leser ist es nun, dass eine Storysammlung erschienen ist, die Schünemanns Geschichten bündelt. ...

Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass „Das Seelenrad“ eine Storysammlung ist, die über das Mittelmaß hinausragt, was vor allem an einer Pentalogie von Stücken liegt, in denen Form und Aussage gelungen sind, z.T. sogar nahe der Perfektion anzusiedeln sind.

Leserinnenmeinung von Lucia, Website des Verlages:

"Packend-subtiler Horror in überzeugendem Stil. Ein Spiegel menschlicher Abgründe.“

 

Wer Fragen zu den Büchern hat, schicke mir einfach eine E-Mail, an

Peter.Schuenemann@gmx.de

 

 

Leseprobe:

 

Stäbe und Schatten

 

Ihre Welt ist ein halbdunkles Zimmer am Grund eines alten, schon langsam verfallenden Hauses. Eine einzige Tür führt in dieses Zimmer, ein einziges Fenster lässt Luft und Licht von außen herein. Zu der Tür geht von der Straße herab eine Treppe, am Fenster vorbei; wenn es offen steht, kann man mit wenig Mühe in ihr Zimmer gelangen. Der Vermieter hat ihr deshalb drei Stäbe ins Fenster einmauern lassen, schwarze eiserne Stäbe, die vom spärlichen Licht noch mehr nehmen. Sie hat nicht protestiert. Ihr sind Halbdunkel und Abgeschlossenheit recht. Ihre Arbeit tut sie vom Computer aus. Hinaus geht sie selten: nur zum Lebensmittel­markt an der Ecke, den zwei alte Frauen betreiben, oder zum Second-Hand-Shop der Gothic-Lady schräg gegenüber. Was sie außer Nahrung und Kleidung braucht, findet sie über das Web. Sie ist ihr Leben zufrieden.
Nachts jedoch schrickt sie manchmal auf, aus schlimmen Träumen, Bilder aus frühen Jahren zerreißen dann ihre Gedanken und ihre Stille: ein anderes halbdunkles Zimmer, wo sie in ihrem Bett kauert und auf einen riesigen Schatten starrt, den jemand wirft, der groß und erdrückend da steht. Mehr sieht sie nicht, immer nur diesen Schatten; und manchmal in seinem Spiel an der Wand eine Andeutung von Bewegungen, die sie nicht sehen will, weil sie sich dann erinnern müsste. Jedes Mal wacht sie vor dem Sehen und vor der Erinnerung auf, sieht erleichtert im fahlen Nachtlicht die Stäbe vorm Fenster Wache halten. Wenn sie sehr zittert und nicht wieder einschlafen kann, kontrolliert sie die Riegel und Schlösser an der Tür und liest dann bis zum Morgen in unfrohen Büchern, die sie nicht trösten; aber dennoch, sie ziehen sie auf seltsame Weise an.
So vergeht ihr Leben, mehr und mehr: sie arbeitet, versorgt sich, liest, hört Musik oder redet in Boards und Chatrooms mit ihresgleichen, schemenhaften  Gestalten, die ähnliche Träume träumen wie sie. Nichts ereignet sich. Die Träume werden geträumt, doch ansonsten herrscht Stille.
Eines Nachts aber, als sie stöhnend erwacht, sieht sie das Zimmer getaucht in ein fremdes blauschwarzes Licht; und plötzlich steht sie auf, holt ihren rostigen Werkzeugkasten, nimmt die Eisensäge heraus. Geht zum Fenster, öffnet es weit und zersägt zugleich mit den schwarzen Stäben das Unheil der Nacht. Es macht Mühe, aber schließlich entfernt sie auch den letzten Stab. Taumelt dann zum Bett zurück, lässt sich fallen. Das Fenster bleibt offen. Sie wartet.
Nicht allzu lange: eine dunkle Gestalt erscheint im fahlen Viereck des Rahmens, verharrt einen Moment, wie zögernd. Sie, auf ihrem Bett, hält den Atem an und spricht in Gedanken eine Bitte aus. Die Gestalt, als habe sie gehört und verstanden, gleitet langsam über die rissige hölzerne Fensterbank ins Zimmer hinein. Je näher sie kommt, desto mehr wird sie zu einem Wesen, vielleicht Frau, vielleicht Mann, oder beides zugleich. Es zeigt eine kalte Schönheit: das Spiel geschmeidiger Muskeln unter schwarzem Stoff, die strenge Klarheit eines marmornen Grabengels. Dieses Wesen, weiß die Liegende, die wache Träumerin, dieses Wesen empfindet gar nichts für sie, es verharrt hier nur kurze Zeit, um etwas zu Ende zu bringen. Fasziniert beobachtet sie, wie es die schwarzen Handschuhe ablegt; sieht zitternd und glücklich die Klauen, die zum Vorschein kommen. Schaut sich noch einmal im Zimmer um: keine Schatten; das blauschwarze Licht, welches das Wesen umspielt, hat sie alle vertrieben. Da schließt sie die Augen und lässt sich entspannt hier liegen. Der Schmerz, der sie schnell und fast sachte durchzuckt und zerreißt, holt sie hinüber in dunkle Stille, wo Schatten und Träume nicht sind.

 

  © by Peter Schünemann, 2006